Impressionen und Gedanken aus etwas anderer Perspektive
Große Aufregung in der Friedensstadt Augsburg. Ein von Oberbürgermeister Gribl gegen Frauke Petry, Bundesvorsitzende der AfD, ausgesprochenes Rathausverbot war am Mittwoch vom Verwaltungsgericht mit Verweis auf die Meinungsfreiheit gekippt worden. Die beiden AfD-Stadträte hielten an ihrer Einladung Petrys zu ihrem Neujahrsempfang für 12.2.16, 19.30 fest. Als Reaktion berief der OB eine außerordentliche Stadtratssitzung auf 18 Uhr in den goldenen Saal des Rathauses ein. Um 18.30 startete eine Mahnwache des Bündnisses für Menschenwürde vor dem Rathaus. Dort fanden sich schließlich mehr als 3.000 Menschen ein. Die Ratssitzung dagegen war schlecht besucht. Wenige Bürger und nur Stadträte der Regierungskoalition aus CSU, SPD und Grünen hatten sich eingefunden. Die AfD-Räte waren natürlich bei ihrem demnächst startenden Neujahrsempfang. Die Oppositionsräte diverser Kleinparteien entweder abwesend oder draußen bei der Mahnwache.
In den überregionalen Medien fand das Augsburger Geschehen Beachtung. Die Augsburger Presse berichtete ausführlich.
Das Ansehen der Friedensstadt
OB Gribl betonte zu Beginn, der Auftritt Petrys schade dem Ansehen der Friedensstadt Augsburg. Vor allem ihr Plädoyer für Schusswaffengebrauch gegen Flüchtlinge sei mit dem friedensstädtischen Selbstverständnis Augsburgs nicht vereinbar. Im Laufe der Sitzung ging es denn auch um eine Änderung der Nutzungsordnung fürs Rathaus, die in Zukunft Veranstaltungen ausschließe, die „dem Ansehen der Friedensstadt schaden“. Ausführlich sprach Kulturreferent Weitzel von der „Friedenstradition als prägendem Element der Stadtgeschichte“. Von der Confessio Augustana 1530 über den Augsburger Religionsfrieden 1555 bis zum Westfälischen Frieden 1648 und dem Beginn des Friedensfestes am 8.8.1650 seien in Augsburg Schritte zu friedlichem Miteinander widerstreitender Absolutheitsansprüche und freie Religionsausübung getan worden.
Helmut Hartmann, Augsburger Friedenspreisträger und Überlebender der Nazidiktatur, bekundete seine Dankbarkeit für die gewachsene Demokratie in Deutschland. Aus unserem heutigen Reichtum erwachse eine Verpflichtung gegenüber Menschen auf der Flucht. Als Flüchtlinge aus Nazideutschland an den geschlossenen Grenzen anderer Länder abgewiesen wurden, gingen sie in den sicheren Tod. Das dürfe nicht wieder sein. Frieden sei die Leitkultur des Christlichen Abendlandes.
Der runde Tisch der Religionen will Grenzen überwinden
Stadtdekanin Susanne Kasch sprach für den Runden Tisch der Religionen. Dessen Ziel sei laut Satzung, „zum friedlichen Zusammenleben der Menschen in Augsburg beizutragen, Konflikte zu entschärfen, bei denen religiöse Faktoren eine Rolle spielen, sowie Verständnis für die Ausübung der unterschiedlichen Religionen in der Stadtöffentlichkeit zu wecken.“ Sie zitierte aus der gemeinsamen Stellungnahme von Christen, Juden, Muslimen, Aleviten und Buddhisten zum Friedensfest, 8.8. 2015. Darin wird die Sorge ausgedrückt angesichts der Konflikte weltweit, auch der Anschläge gegen Flüchtlingsheime hierzulande. Die „Sehnsucht nach Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden“ verbinde alle Menschen und sei uns „vom Schöpfer der Welt mitgegeben“. Wir Menschen seien, „fähig und berufen zu Mitmenschlichkeit und einem Leben in Freiheit und Gerechtigkeit“. Menschen auf der Flucht seien „unsere Mitmenschen“ und hätten daher „Anspruch auf unsere Solidarität und Hilfe“. Gemeinsame Aufgabe am Runden Tisch der Religionen sei es „beizutragen, dass Grenzen unter uns überwunden werden“.
Weiter sprachen Prof. Weller vom Studiengang für Friedens- und Konfliktforschung und die Vorsitzende der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Margaretha Hackermeier.
Fragen eines skeptischen Dissidenten
Die Neuformulierung der Nutzungsordnung wurde einstimmig angenommen. OB Gribl kündigte zudem die Vorlage eines Grundtextes „Friedensstadt Augsburg“ an, um das Selbstverständnis „verschiedener Formate der Friedensstadt“ zusammenzuführen. Unter „Verschiedenes“ gab es noch die Wortmeldung von Stadtrat Peter Grab, der als einziger Dissident grundsätzliche Bedenken anmeldete zu einem Hausverbot. Er könne sich der von den Vorrednern geäußerten Grundsätzen voll anschließen, teile auch die Kritik an der „Schusswaffenäußerung“ der AfD-Vorsitzenden. Allerdings halte er demokratische Grundrechte und politische Auseinandersetzung für nicht disponibel. Auch er wolle Petry nicht im Rathaus reden hören. Ein Redeverbot sei jedoch mit der demokratischen Auseinandersetzung nicht vereinbar. Auch kritisierte er die Eile der Nutzungsänderung. Er beendete seine Stellungnahme mit dem Vorschlag, die Stadträte sollen ihr heutiges Sitzungsgeld einer Organisation spenden, die gegen Hass und Gewalt arbeite. – Zuvor war die neue Verteilung der Ausschusssitze mitgeteilt worden. Sie war daraus entstanden, dass Grab und seine Gruppierung (WSA) die bisherige Ausschussgemeinschaft mit den beiden AfD Räten gekündigt hatte. – Grab lässt sich seine Distanzierung also durchaus etwas kosten. Er darf in keinem Ausschuss mehr mitreden. – Stadtrat Cemal Bozoglu schilderte in einem persönlichen Zeugnis, wie er vom politischen Flüchtling vor der Militärherrschaft in der Türkei zum Augsburger Bürger wurde.
Auf dem Rathausplatz
Draußen auf dem Rathausplatz waren inzwischen 3.000 Menschen zusammengekommen. Mit selbstgemalten oder vom Bündnis für Menschenwürde vorgefertigten Schildern protestierten sie gegen AfD und das Auftreten Petrys. Stadtdekanin Kasch und OB Gribl hatten sie Sitzung vorzeitig verlassen, um auch noch zur Menge zu sprechen. Ihre und weitere Reden konnte ich vom goldenen Saal aus nicht hören. Ein einzelner Demonstrant umkreiste die Menge mit einem Schild, das ähnlich textete wie Peter Grab. „Demokratie: Argumente statt Verbote.“ Eine Luftballonaktion des Stadtjugendrings ließ hunderte weiße Luftballons mit der Aufschrift „Amore statt Peng Peng“ aufsteigen.
Ein zwiespältiges Gefühl
Es ist gut, dass den fremdenfeindlichen Positionen der AfD klar und deutlich widersprochen wird. Insgesamt habe ich dennoch ein zweispältiges Gefühl. Vielleicht rührt es zum einen von der allzugroßen Selbstgewissheit der Augsburger (über)großen Koalition und der wahrnehmbaren Häme gegenüber dem einzigen anwesenden Dissidenten Peter Grab und seinen doch wichtigen Fragen. Zum anderen wäre die CSU als größte Regierungsfraktion zu fragen, wie denn ihre begrüßenswert klare Haltung gegen die AfD zu Äußerungen und Verhalten ihres Vorsitzenden Seehofer passt. Er nennt Deutschland einen „Unrechtsstaat“, sucht den Schulterschuss mit Putin in Moskau, während dessen Bomben in Syrien für neue Flüchtlinge sorgen. Wie steht der stellvertretende CSU-Vorsitzende Gribl dazu? Zum dritten die Frage: Hat die Skandalisierung des AfD-Neujahrsempfangs, das nicht durchsetzbare Haus- und Redeverbot, und auch die massenhafte Mahnwache der AfD nicht eine vielfache öffentliche Aufmerksamkeit beschert, als hätte man sie unbeachtet reden lassen? Spielt das nicht dieser Partei und ihrer Aschenputtelstrategie in die Hände? Und zuletzt: Sollte das Geschichtsbild einer Friedensstadt nicht etwas differenzierter und weniger einseitig heroisch sein, als es Kulturreferent Weitzel skizzierte?
Kleiner Exkurs zum Geschichtsbild der Friedensstadt Augsburg
Als Gipfel des Unfriedens stellte Weitzel die Schließung der evangelischen Kirchen und die Absetzung der evangelischenPrediger und Ratsherren dar. Ohne allerdings zu erwähnen, dass auch die lutherische Seite, wenn sie die Macht hatte, entsprechend intolerant agierte: Ausweisung der Priester und Orden, Verbot der Messe … Ebenfalls unerwähnt die Vertreibung der Täufer und anderer Dissidenten, die Verdammung der „Wiedertäufer“ in der Confessio Augustana. Auch der große Schönheitsfehler des Religionsfriedens wurde nicht benannt: Religionsfreiheit nur für die Mächtigen, denen erlaubt wurde, ihre Untertanen zu Lutheranern oder Katholiken zu machen. Zur Augsburger Parität waren nur Lutheraner und Katholiken zugelassen. Schließlich sprach Weitzel im großkirchlich üblichen Ökumenesprech von der Koexistenz der „beiden“ christlichen Konfessionen. Dass es (offiziell) nur zwei waren, war eine Machtfrage und kaum ein Friedenszeugnis. Alle anderen wurden in den Untergrund gedrängt. Sollte eine Friedensstadt sich nicht ein ungeschöntes Geschichtsbild leisten?
Die Kaiserbilder im Goldenen Saal
War ich der einzige, der während der Stadtratssitzung an den Seitenwänden des goldeneen Saales die überlebensgroßen Bilder der römischen Kaiser betrachtete? Linker Hand die heidnischen Kaiser seit Augustus, dem Namensgeber Augsburgs, rechter Hand die christlichen Kaiser seit Konstantin. Seltsam nur, dass kein sichtbarer Unterschied zwischen christlichen und heidnischen Herrschen ins Auge fällt. Beide posieren stolz mit dem Schwert als Zeichen ihrer Herrschaftsgewalt. Sollte das „Schwert“, modern gesprochen der „Schusswaffengebrauch“, am Ende zum unverzichtbaren Inventar staatlicher Herrschaft gehören? Was bedeutet dann die laute Empörung über Frauke Petrys Äußerung zum Schusswaffengebrauch gegen Flüchtlinge? Sind die schwarz-rot-grünen Stadträte inzwischen alle Pazifisten geworden?
Der stärkste Widerspruch
Als ich schließlich doch bei der 3.000köpfigen Mahnwache auf dem Rathausplatz ankomme, wundern mich zum einen die lokalpatriotischen Texte der dort singenden beiden Sebastians: sonntäglicher „Duft nach Braten“, reimt(!) sich da auf „parkende Mittelklassewagen“. Und noch etwas irritiert mich: das Bündnis für Menschenwürde hatte Pappschilder vorgedruckt. Da gab es die Auswahl zwischen fünf Sätzen: Wie kommt es, dass ausgerechnet der stärkste Widerspruch gegen Petrys „Schießbefehl“ als Demospruch kaum Anklang findet? Vom Stapel mit dem Text „Du sollst nicht töten! 5. Gebot“ sind kaum Schilder genommen. Andere sind „ausverkauft“. Ich sehe das 5. Gebot in der Menge nur einmal. Noch dazu meint der Träger: Der beste Spruch gegen die Islamisierung. – Hallo, entgegne ich, auch im Koran ist doch das Töten verboten.
13. Februar 2016 von Wolfgang