Oder wie eine Kampagne der Evangelischen Landeskirche in Baden zum Reformationsjubiläum den Teenager Luther zum Autor der Heiligen Schrift macht
Es war im Schaukasten einer badischen ev. Kirchengemeinde, wo ich vor Monaten dieses Plakat zum ersten mal sah. Ein arg verschlankter und zum Teeenager verjüngter Luther mit Sprechblase. „Wo der Geist Christi ist, da ist Freiheit.“ Und in der Sprechblase, damit es keine Missverständnisse gibt, wird auch der Autor genannt: Martin Luther, Reformator, Wittenberg. Eigentlich unüblich im Comic. Ein Lutherzitat soll zeitgemäß unters Volk gebracht werden. Ein Lutherzitat? Den Eindruck erweckt zumindest das Plakat und auch auf der Netzseite der badischen Landeskirche wird Luther als Urheber ausgewiesen. Zumindest wird das im Text nirgends dementiert. Im Gegenteil, es wird auf seine so große Freiheitsliebe hingewiesen: „Der Freiheitsgedanke hat für den Reformator Martin Luther eine wichtige Rolle gespielt. ‚Von der Freiheit eines Christenmenschen‘ lautet der Titel einer seiner bedeutenden Schriften. Darin sagt Luther, dass Freiheit im christlichen Glauben gründet. Die Reformation trug in den zurückliegenden 500 Jahren viel zum heutigen Freiheitsverständnis bei.“
Dann wird dazu aufgefordert, Botschafter der Kampagne „Ich bin so frei“ zu werden und Fotos, Statements, Sätze, Videobotschaften zum Thema Freiheit einzusenden. Was anscheinend tatsächlich auch 11 Leute getan haben, darunter Finanzminister Schäuble – aber ach, das ist wohl ein bestelltes Grußwort zum Kampagnenstart. Inwiefern die anderen Beiträge authentisch sind, lässt sich nicht feststellen. Es geht darin um einen Unternehmer, der christliche Werte auch im Unternehmen achten will. Gut so! Er trägt ein Leibchen mit der Aufschrift „Ich bin so frei!“ – Eine Frau arbeitet in der Vesperkirche für Wohnsitzlose mit. Gut so! Auch sie trägt ein Leibchen, durch den Bildausschnitt ist allerdings nur „Ich“ zu sehen. – Ein Mann steht in einem Kornfeld und meint, er sei frei, wenn er in der Natur stehe. Er gibt sich als Bauer zu erkennen, der zwar säe und arbeite, aber doch für die Ernte auf Gottes Hilfe angewiesen sei. So sei es auch im sonstigen Leben. Darum brauche er keine Angst zu haben. Gut so! Diesmal ist das rote Leibchen gut zu sehen. – Am Anfang und am Ende jedes Spots taucht übrigens jeweils ein weißes Lutherporträt auf rotem Grund auf und der Schriftzug „ICH BIN SO FREI“. – Eine Kulturwissenschaftlerin plädiert dafür, auch in digitalen Welten, Gott zu begegnen. Sie sei frei, auch zu zweifeln. Gut so! – Ein LKW-Fahrer steht im roten „Ich-bin-so-frei-Laibchen“ neben seinem LKW und spricht über Stopps in Autobahnkirchen und mehr oder weniger Verständnis bei Kollegen. Gut so! – Eine Bildungsreferentin, die Entwicklungsdienst gemacht hat, philosphiert über die Relativität von Armut und Reichtum und wie wichtig das Teilen sei. Gut so! – Ein Ehepaar bezeugt das Gute einer kirchlichen Trauung und den darin zugesprochenen Segen. Gut so! – Ein Pärchen, bei ihr ist das „Ich bin so frei“ durch einen Schal verdeckt, lobt das Singen in der Jugendkantorei. Musik gebe Freiheit! Gut so! – Ein Ehepaar lobt das Lesen der Losungen am Morgen und das Beten in schwierigen Situationen. Der Glaube mache sie frei, Konflikte anzugehen. Gut so! – Und Schäuble macht der Glaube frei zu Entscheidungen, weil man nur eine „vorläufige Verantwortung“ habe. Auch ok!
Nur, warum sagt weder das Plakat noch die Netzseite, dass das Zitat „Wo der Geist Christi ist, da ist Freiheit“ und seine Verkürzung auf roten T-Shirts KEIN ZITAT MARTIN LUTHERS ist. Es stammt vielmehr von Paulus aus dem 2. Korintherbrief, Kapitel 3, Vers 17b: „Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit!“ Ein Bibelzitat wird als Lutherzitat ausgegeben. Wie daneben ist das denn? Vor 100 Jahren hätten vielleicht viele derjenigen, die damals noch flächendeckend in evangelischen Gegenden und Milieus den Konfirmandenunterricht besuchten, das Zitat zuordnen können. Doch heute in unserer Zeit weitgehender religiösen und biblischen Bildungsverlustes und Traditionsabbruches? Nichts gegen locker flockige Plakate, auch nichts gegen nicht ganz so lockere Videos und das darin transportierte mehr oder weniger glaubensstarke Zeugnis, aber alles oder doch ziemlich viel dagegen, den Dr. Luther vom Übersetzer der Schrift sogar zum Autor der Schrift zu machen.
Ob Luther wirklich zum Freiheitshelden taugt? Die Vorläufer des Bauern im Kornfeld hätten dazu wohl einiges zu sagen. – Ach ja, im Kontext des zitierten Halbverses geht es bei Paulus um eine komplexe Diskussion über das Verhältnis des „alten“ und des „neuen“ Bundes. Wenn ich dazu die Wirkungsgeschichte gewisser Schriften Luthers mitdenke, dann wird der lockere Umgang mit Luthers „Freiheit“ und die Reduktion auf eine T-Shirt-Weisheit doch sehr fragwürdig.
15. September 2017 von Wolfgang