oder: Warum die Debatte um die Herxheimer „Hitlerglocke“ am Wesentlichen vorbei geht
Von Christian Morgenstern, 6. 5.1871 – 31.3.1914, ist ein Gedicht mit dem Titel „Die Schwestern“ überliefert. ein Streitgespräch von Glocke und Kanone. Ich habe es vor 17 Jahren um einen Vers ergänzt, der darauf aufmerksam macht, dass schon seit es Kanonen gibt, die Kirchenglocken als strategische Metallreserve der Armeen dienen. Im 1.Weltkrieg, den Morgenstern nicht mehr erleben musste, wurden etwa 65.000 deutsche Glocken eingeschmolzen. Im 2.Weltkrieg wohl kaum weniger. Sind die in jedem Kirchturm vorhandenen Glocken nicht ein handgreifliches Symbol für die Symbiose von Kirche und Staat. Mehr als ein Symbol. Das Metall, das im Frieden dem Lob Gottes und dem Ruf zum Gebet dient, ermöglicht im Krieg das Töten der Feinde. Wie sieht es angesichts der heutigen Waffentechnik damit aus? Und würden sich Kirchengemeinden heute weigern, ihre Glocken für Kanonen herzugeben? In bisherigen Kriegen haben es einige wenige getan. Was ist eine wie auch immer geartete einzelne Glockeninschrift gegen diese flächendeckende militärische Funktion der Kirchenglocken? Sollte im Ernstfall gar auch diese Glocke dagegen verteidigt werden, zur Kanone gemacht zu werden?
Die Schwestern
Die Kanone sprach zur Glocke:
„Immer locke, immer locke!
Hast dein Reich, wo ich es habe,
hart am Leben, hart am Grabe.
Strebst umsonst, mein Reich zu schmälern,
bist du ehern, bin ich stählern.
Heute sind sie dein und beten,
morgen sind sie mein und – töten.
Klingt mein Ruf auch unwillkommen,
keiner fehlt von deinen Frommen.
Und wenn dem Felde fehlt das Eisen,
wird man dich vom Turme reißen.
Beste, statt uns zu verlästern.
Laß uns einig sein wie Schwestern.
Drauf der Glocke dumpfe Kehle:
„Ausgeburt der Teufelsseele,
wird mich erst der Rechte läuten,
wird es deinen Tod bedeuten.“
Christian Morgenstern
(Str. 6 ergänzt von WK, 3.10.1990)
18. September 2017 von Wolfgang