Martin Luther, Thomas Münzer oder die Gründung einer neuen Gemeinschaft
Derzeit läuft in Augsburg in einer sehr gelungenen Aufführung das provokative Stück von Dieter Forte, Martin Luther, Thomas Münzer oder die Einführung der Buchhaltung am Augsburger Theater. Angesichts all der Überhöhung Luthers als Freiheitsheld und Heros des Glaubens während des Reformationsjubiäums scheint mir Fortes 1971 erschienenes Stück auch heute noch provokant. Wenn es nicht gleich als Agitprop Theater abgetan wird.
Vor allem im ersten Teil geht es recht slapstickhaft zu und bald wird die Grundthese deutlich, die Reformation habe vor allem mit Geld und Kapitalakkumulation zu tun und auch rein gar nichts mit Glauben. Bei keinem der handelnden oder getriebenen Personen findet sich persönlicher Glaube. Luther ist nicht viel mehr als ein Werkzeug in der Hand seines Fürsten Friedrich und dessen Sekretär Spalatin. Der eigentliche Held ist Jakob Fugger und dessen Kapital.
Der zweite Teil ist ein Abgesang auf den erfolglosen Versuch der Bauernbewegung, die Macht des Feudalismus und beginnenden Kapitalismus zu brechen. Dabei kürzt die Inszenierung notgedrungen, sonst würde das Stück an die 8 Stunden dauern. Gestrichen bzw. auf Kernsätze reduziert werden die seitenlangen Zitate u.a. aus Schriften Luthers und Müntzers. Im zweiten Teil findet sich – in der Augsburger Aufführung gestrichen – eine kleine Szene, die als einzige etwas wie Hoffnung in die trostlose Landschaft hemmungsloser kapitalistischer Ausbeutung und vergeblicher revolutionärer Auflehnung bringt und einen anderen Weg aufzeigt. Und dazu taucht Hans Hut auf:
Münzer: Unsere Sache ist dem schönen roten Weizen gleich. Wenn er in der Erde steckt, so scheint es nicht anders, als ob er nie mehr aufgehen würde. Aber er wird aufgehen. Die Oberen werden gestürzt, ihr Geschrei hilft ihnen gar nichts. …
2. Genosse: Denkt doch jeder nur an sich.
Münzer: Aber warum ist das so? Warum? Wir müssen Arbeiter, Bürger und Bauern zusammenbringen. Es geht nicht einzeln. Sie müssen begreifen: Ihr Schade ist unser aller Schade. Ihre Forderung ist unsere Forderung. Es gibt keinen anderen Weg, dieser Menscheit zu helfen, als daß wir mit ganzem Ernst, mit ausdauernder Nüchternheit die Entfremdung dieser Welt zeigen.
Hut: Ich werde eine neue Gemeinschaft gründen. Einige Leute, die zusamenleben wollen und die sich wieder mit anderen zusammenschließen. Die Ehe kann bleiben, aber die Kinder werden gemeinsam erzogen. Jeder bekommt, was er braucht. Gütergemeinschaft. Eine gemeinschaftliche Küche, Schule, Krankenhaus. Wir werden gemeinsam arbeiten und gemeinsam einkaufen, und wir werden jeden Kriegsdienst verweigern. Denn jeder Krieg ist Sünde.
Münzer: Hut, du bist ein lieber Mensch, aber jetzt geht es darum, die Voraussetzungen zu schaffen.
Hut: Ich werde eine neue Gemeinschaft gründen.
Münzer: Wenn wir durch sind, könnt ihr euch organisieren, wie ihr wollt. Jetzt brauchen wir Kernzellen in allen Städten und Ländern.
3. Genosse: Das werden die Herren auch gerade zulassen.
Münzer: Es ist die Zeit der Bewährung. Habt ihr nur eure Güter lieb? Fürchtet ihr das Leben? Wer ein Stein des neuen Hauses sein will, der wage seinen Hals. Ich kümmere mich um die Bergarbeiter. Wir brauchen die Massen. Und ihr?
1. Genosse: Franken.
2. Genosse: Schwaben.
3. Genosse: Württemberg.
Hut: Ich will eine neue Gemeinschaft gründen.
Pfeiffer: Ich sehe uns alle schon hängen. Und die Massen werden Eintritt zahlen, um dabei zu sein.
Münzer: Am Volk zweifel ich nicht.
Hut wird nicht ernst genommen. Münzer nennt ihn einen „lieben Menschen“. Doch Huts Vorschlag wird später in der Täuferbewegung verwirklicht. Er hat großen Anteil daran, dass die neue Gemeinschaft entsteht, die heute schon die zukünftige revolutionäre Welt Gottes lebt. Die u.a. von Hut gegründete neue Gemeinschaft existiert bis heute in den Gemeinschaften der Hutterer, der Mennoniten, der Amischen, der später entstandenen Quäker, der Brethren u.a
Dieter Forte, Martin Luther, Thomas Münzer oder die Einführung der Buchhaltung, Wagenbach, Berlin 1971. Fischer Taschenbuch 7065, 1981, 5. Auflage: März 2009.
8. Dezember 2017 von Wolfgang