Täufer beim Katholikentag in Münster,10.-13.5.2018
Von Wolfgang Krauß
Da nun Christus König ist, sowohl über das ganze Erdreich als auch über seine gläubige Gemeinde, […] wie nennt Jan van Leyden sich denn einen fröhlichen König über alles, der der Elenden Freude geworden sei? Menno Simons, Gegen Jan van Leiden, 1535
Heilung der Erinnerung angesichts eines historischen Traumas
Nicht nur ich werde wohl immer noch mit drei streotypen Rückfragen konfrontiert. Ach, seid ihr die mit Pferd und Wagen? Die mit den vielen Frauen? Die Terrorsekte von Münster? Gegen populäre Romane und TV-Verfilmungen, gegen den Gruseleffekt der Käfige am Lambertikirchturm in Münster haben es die zahlreich vorhandenen seriösen Forschungen schwer. – Umso mehr elektrisierte mich die Einladung zur ökumenischen Vorbereitungsgruppe zum 101. Katholikentag 2018 in Münster. Ein Katholikentag! In Münster! Zum Thema „Suche Frieden!“ Schon in der Vorstellungsrunde des ersten Treffens meinte ein lutherischer Teilnehmer, die Täufer müssten ins Programm und „Die Käfige müssen weg!“
Erstmals seit 1535
Auf Initiative der Programmleitung kam der Vorschlag, statt eines zunächst geplanten kur-zen Gebets am Ende eines Podiums ein Mit-tagsgebet in St. Lamberti zu gestalten. Erstmals seit 1535 die Käfige mit den hingerichteten Täuferführern an den Kirchturm gehängt wurden waren, sollten Katholiken, Lutheraner und Täufer miteinander beten. – Vieles fügte sich zusammen. Doch da es zeitgleich eine Europäische Mennonitische Konferenz in Montbeliard gab, waren nur wenige wenige Mennoniten in Münster. Der Vorstand der Arbeitsgemeinschaft Mennonitischer Gemeinden (AMG) war informiert, aber in Frankreich. Aus den Niederlanden war Ybele Hamstra vom Vorstand der Algemene Doopsgezinde Sociëteit angereist. Einige Mennoniten kamen aus Gronau, den ostfriesischen Gemeinden und anderswo.
Gespräch unter den Täuferkäfigen
Freitag, 11.5.18, in der Mitte des Katholikentags, war der Täufertag. Das Podium am Vormittag sah alle 140 Plätze eines Saals in der Bezirksregierung besetzt. Hier am Domplatz, nahe der Stelle, wo König Jan van Leiden damals Hof gehalten hatte, traf man sich jetzt zum „Gespräch unter den Täuferkäfigen“ Ralf Klötzers präzises Einführungsreferat skizzierte Kontext und Stationen der Täuferherrschaft. Wolfgang Krauß moderierte das anschließende Gespräch. Die mennonitische Theologin und Sozialpsychologin Andrea Lange brachte ihre Erfahrung als Teilnehmerin am lutherisch-mennonitischen Dialog in Deutschland und am Dialog zwischen Vatikan und Mennonitischer Weltkonferenz ein. Der katholische Historiker Hubertus Lutterbach, der in Band 3 der fünfbändigen Geschichte der 1200 Jahre des Bistums Münster die 16 Monate(!) der Täuferherrschaft darstellt, betonte die Fremdheit jener Zeit. Man müsse sie erst heranzoomen. Der lutherische Kirchenhistoriker Christian Peters vom Institut für Westfälische Kirchengeschichte stellte die Vielgestaltigkeit der Reformation heraus. Zahlreiche Rückfragen und Gesprächsbeiträge aus dem Publikum schlossen das Podium ab. Lloyd Hoover aus USA meinte, in Münster sei etwas gründlich schiefgegangen, eine falsche Betonung des Geistes habe zu einer bis heute (nicht nur) unter Mennoniten anhaltenden Furcht vor dem Wirken des Geistes geführt. Er hoffe, ausgehend von den heutigen Impulsen, komme es zu einer neuen Geisterfahrung in allen Denominationen. – Einig war man sich in dem Fazit, die Geschichte müsse anders erzählt werden.
Gott und einander um Vergebung bitten
Der größte Teil des Publikums kam mit in die nahe Lambertikirche. Schnell waren alle etwa 500 Plätze besetzt. Eingerahmt vom römisch-katholischen Stadtdechanten Jörg Hagemann und dem evangelischen Superintendenten Ulf Schlien standen drei Mennoniten vor dem Altar: Jacob Schiere, Architekt und Hilfswerksarbeiter aus den Niederlanden, Keith Blank, Distriktsbischof der Lancaster Mennonite Conference, aus USA und Andrea Lange, mennonitische Sozialpsychologin und Theologin aus Mainz.
Zu Beginn verdeutlichte Andrea Lange die Absicht des Gebets: „Gott und einander um Vergebung bitten für die wechselseitige Gewalt und Verfolgung zwischen römisch-katholischen, evangelischen und täuferischen Christen in Münster …, historische Schuld bekennen, um Heilung der Erinnerungen beten, Gottes Versöhnung erbitten und einander zu weiteren Schritten der Versöhnung ermutigen.“ Dazu passte der Liedruf „Kehret um und ihr werdet leben“.
Es folgten Grundinformationen zur Täuferbewegung im Kontext der Reformation und die besondere Entwicklung in Münster. Erwähnt wurde auch Menno Simons’ Verarbeitung Münsters in Richtung eines gewaltfreien Christuszeugnisses. Die weitere Liturgie zitierte die ökumenischen Dialoge unserer Zeit.
Jörg Hagemann, Keith Blank, Andrea Lange, Jacob Schiere, Ulf Schlien mit Musikern |
Klage, Schuldbekenntnis, Versöhnung
Ein Klageteil benannte die „Opfer der Gewalt während der Belagerung Münsters … durch die Truppen des katholischen Fürstbischofs und … des protestantischen Landgrafen von Hessen“. Beklagt wurde auch die Gleichsetzung aller Täufer mit dem Täuferreich in Münster und ihre Verfolgung als Aufrührer. Die Käfige wurden beklagt als Zeichen feudaler Herrschaft. Beklagt wurde die Verweigerung eines christlichen Begräbnis-ses für Jan van Leiden, Bernd Knipperdollinck und Bernd Krechtinck.
Den Klagen gegenübergestellt wurde die Bitte an Christus, uns heute zu helfen „den Opfern von Krieg und Terror … beizustehen und auf friedliche Konfliktlösungen hinzuwirken,… die anderen Konfessionen ohne Vorurteile wahrzunehmen, … Gewalt nicht mit Gewalt zu beantworten.“ Die Klage endete mit der Feststellung, der Anblick der Käfige verstöre auch heute. Sie Käfige sollten nicht mehr als Zeichen der Unversöhnlichkeit verstanden werden, sondern als Mahnung für den Frieden. Nie wieder sollten Christinnen und Christen Gewalt gegeneinander anwenden.
Nach Lesung von 2 Kor 5,17-20 folgten Schuldbekenntnis und Versöhnungsbitten. Ulf Schlien wiederholte die Bitte des Lutherischen Weltbundes von 2010 um Vergebung für die lutherische Verfolgung der Täufer. Jörg Hagemann bekundete mit Johannes Paul II. Bußbereitschaft, die Bitte um Vergebung und die Hoffnung auf eine neue Beziehung zu den Mennoniten. Jacob Schiere sprach davon, wie der Geist der Buße in den ökumenischen Dialogen uns Mennoniten bewegt habe. Auf Münster bezogen sagte er: „Hier und heute in Münster bedauern wir als Mennoniten die Worte und Taten der damaligen Täufer, die zum Zerbrechen des Leibes Christi beigetragen haben. Wir bedauern das vielfältige Leid, das den katholischen und lutherischen Schwestern und Brüdern durch die Täufer zugefügt wurde. Die Gewalttaten der Täuferführer in Münster erscheinen uns heute als extreme Folgen einer Fehldeutung des Evangeliums.“ Auf die Schuldbekenntnise antwortete die Versammlung: „Herr, Jesus Christus, wir bitten dich, unseren Gemeinschaften Heilung der Erinnerungen, Umkehr und Versöhnung zu schenken.“
Jörg Hagemann meinte, nicht alle Fragen seien geklärt, Dissens gebe es noch zu den Themen „Taufe“ oder „Gewaltausübung“. Doch gemeinsam sei man „berufen, Friedensstifterinnen und Friedensstifter zu sein“. Damit zitierte er den Titel des Dokuments zum katholisch-mennonitischen Dialog.
Miteinander forderten alle fünf die Versammlung auf mit aller Kraft für den Frieden Christi einzutreten. „Fangen wir hier in der Kirche St. Lamberti damit an. Geben wir einander ein Zeichen des Friedens und der Versöhnung!“ Das gemeinsame Vater Unser und das Segenslied „Komm, Herr, segne uns, dass wir uns nicht trennen“ beendeten das Mittagsgebet.
Ökumenische Engel im Hintergrund?
Die Liturgie war in den Monaten zuvor im Zusammenwirken von Michael Kappes, Ökumenebeauftragter der Diözese Münster, Lioba Speer aus der Programmleitung des Katholikentages und Wolfgang Krauß erarbeitet worden. Es gab Zweifel, dass sie in den vorgesehenen dreißig Minuten zu schaffen sei. Passte sie auf die Sekunde, weil im Hintergrund ökumenische Engel die Zeit angehalten hatten?
Zukunft der Taufe … und der Kirche?
Das Nachmittagspodium „Zukunft der Taufe – Zukunft der Kirche?“ in einem Hörsaal der Uni war mit etwa 150 Interessierten wiederum voll besetzt. Moderiert wurde es von der katholischen Religionspädagogin Gabriele Lachner zusammen mit Wolfgang Krauß. Biographische Zeug-nisse entfalteten zu Beginn Erleben und Verständnis der eigenen Taufe: Markus Kohring (ev.-luth.), Sabine Tolzin (baptistisch), Aria Patto (chaldäisch-katholisch), Marianne Cornelsen-Ulrich und Helmut Hamm (mennonitisch).
Einleitende theologische Impulse gaben Andrea Lange und Weihbischof Reinhard Hauke aus Erfurt. Es kam jedoch weniger zu einem Dialog über täuferische und katholische Lehre und Praxis der Taufe. Vielmehr schilderte Hauke die Praxis der Verkündigung des Evangeliums in der post-christlichen Ex-DDR-Gesellschaft, in der die meisten nicht getauft sind. In einem mehrstufigen Prozess werden Menschen eingeladen zum Glauben, verschiedene Entscheidungsschritte werden gefeiert und schließlich Taufe und Kircheneintritt als Gemeindefest begangen. Wiederholt sei zu hören gewesen: „Schade, dass ich schon als Kind getauft wurde.“
Aus dem Publikum meldeten sich vor allem katholische Pfarrer und Gemeindereferentinnen mit Problemanzeigen einer bröckelnden Volkskirche auch in katholischen Milieus im Westen zu Wort. Lässt sich angesichts schwindender katholischer Religiosität in vielen Familien deren Wunsch nach der Taufe ihrer Kinder noch rechtfertigen? Wie lassen sich säuglingsgetaufte Katholiken zu einer Entscheidung für das Evangelium und die Nachfolge Jesu motivieren? Wie kann Taufe aus dem Rand des Gemeindelebens in dessen Mitte gelangen?
Anabaptist Connections
Zur Genese von „Gepräch und Gebet unter den Käfigen“ gehört die Beziehung zur Gruppe „Anabaptist Connections“ in USA. Einige charismatisch gestimmte Mennoniten und Amische arbeiten darin seit mehr als einem Jahrzehnt zum Thema Versöhnung und Heilung der Erinnerungen. Sie identifizieren sich mit historischen Traumata und ihren kollektiven geistlichen Folgen bis heute. Infolge des Traumas von Münster sei es zu einer täuferischen Abneigung gegen Prophetie, Eschatologie und Pneumatologie gekommen, zu einem allgemeinen Misstrauen gegen Wirkungen des Geistes. Dies behindere bis heute die Entfaltung der eigenen Identität – aus einer mis-sionarisch herausfordernden Gruppe seien harmlose religiöse Dissidenten geworden.
Porträt Jan van Leidens am Rathaus und Katholikentagsbanner „Suche Frieden“
Täufer treffen Nachfahren des Fürstbischofs
Am Vorabend des Täufertages hatte es auf Initiative einer Nachfahrin des Fürstbischofs Franz von Waldeck einen Empfang im Drostenhof Wolbeck gegeben. In Wolbeck hatte der Fürstbischof sein Quartier, ebenso sein militärischer Befelshaber Dirk von Merveldt. Dieser spielte eine wichtige Rolle bei der Rückeroberung Münsters, er soll Jan van Leiden festgenommen haben. Der Bischof überließ ihm einen Großteil der Täuferbeute. Daraus konnte er den Drostenhof bauen. Immer noch im Besitz der Familie Merveldt war das Schlösschen nun Schauplatz einer Begegnung zwischen Täufern und ehemaligen Täufergegnern. Im Laufe des Abends kam es auf Inititative von Ben Girod, Llloyd Hoover und Charlie Ness zu gegenseitigen Schuld-bekenntnissen und Vergebungsbitten. Wolfgang Krauß betonte die Notwendigkeit multiperspektivischen Vorgehens, Erkenntnisse historischer Forschung, Fragen theologischer Hermeneutik und praktische Überlegungen, was diene der Nachfolge Jesu, müssten Hand in Hand gehen.
Im Mosaik der Versöhnung
Bei mehr als 1000 Veranstaltungen waren unsere Podien und das Mittagsgebet nur ein kleiner Baustein im Mosaik des Katholikentages. Für das bald 500jährige mit der Täuferrherrschaft verbundene Trauma und seine Folgen, mögen sie ein wichtiger Schritt zur Heilung der Erinnerungen gewesen sein. Weitere Schritte der Versöhnung mögen folgen.
Wolfgang Krauß, 1954, will mit dem Projekt “Wieder Täufer in Augsburg und anderswo“ die in Augsburg weitgehend vergessene Täuferbewegung im heutigen Stadtbild wieder sichtbar machen. Die Münsteraner Täufer sind durch die Käfige an St. Lamberti zwar mehr als sichtbar, doch es gilt ihre Geschichte neu und ohne Vorurteile im Horizont der Heilung der Erinnerungen zu erzählen.
Erscheint leicht verändert auch in DIE BRÜCKE, Täuferisch-Mennonitische Gemeindezeitschrift, 4/2018, S. 26-29
Im Internet abrufbar sind Videoaufnahmen:
Podium: Gespräch unter den Täuferkäfigen, 11.5.18
Mittagsgebet, Lambertikirche: Umkehr und Versöhnung unter den Täuferkäfigen
7. Juli 2018 von Wolfgang