Das zweite Konzert der Reihe „Work in Progress“ zum Augsburger Friedensfest lief am Abend des 5.8.09. Ein wunderbares Musikerlebnis im italienisch arkadenumsäumten Damenhof des Fuggeranwesens in der Maximilianstraße, wieder nur ein paar Schritte vor meiner Haustür. Fast dieselbe Besetzung wie am Abend zuvor. Es fehlt das Vibrafon von Wolfgang Lackerschmid, der jedoch erneut in das Programm einführt und betont, dass es vor allem darum gegangen sei, Musiker aus allen Weltreligionen zusammenzuführen. Wieder ist von einer darüber hinaus gehenden spirituellen Herausforderung nicht die Rede. Könnte es sein, dass hier Jazz die Religion ist?
Am Schlagzeug wieder Akira Tana aus Japan, am Bass John Lee aus USA, am Flügel Roy Assaf aus Israel und als Solistin des Abends die Saxofonistin Gilda Razani, geboren in Teheran, aufgewachsen in Deutschland lebt sie heute in Dortmund. Sie ist ganz klar die Chefin an diesem Abend, da gibt es keine Missverständnisse, keine Konkurrenz, nur Miteinander in einer klaren Struktur. Durch Blickkontakte leitet sie die trotz weniger Probentage erstaunlich geschlossene Band. Und doch wird mit dem ersten Ton schon deutlich, dass dieser Abend vier Solisten Raum gibt. Alle Stücke sind eigene Kompositionen Razanis, oft um ein orientalisch klingendes Grundmuster arrangiert und improvisiert.
Mal transparent, mal unglaublich dicht, mal langsam beginnend und das Tempo beschleunigend, mal scheinbar vorhersehrbar und dann doch erstaunlich gewendet, nimmt Razani das Publikum im überfüllten Damenhof mit in ihre weite Welten umspannende Musik. Nicht nur mir wird der Gedanke gekommen sein, warum kann es in der Politik nicht genauso sein oder werden, wie hier miteinander gejazzt wird. Einerseits entspannt und andererseits konzentriert eine Aufgabe bewältigend. Am deutlichsten höre und sehe ich es im dritten Stück „Shakti“. Laut Razani inspiriert vom Besuch in einem indischen Restaurant, mit einem Raga als Basis und auch „etwas österreichischem Einfluss“. Es beginnt mit einem Schlagzeugsolo. Die Einsätze von Saxofon und Klavier im Blickkontakt zwischen Roy und Gilda. Die Iranerin und der Israeli – zwei kooperierende Welten heben alle Propaganda und Feindschaft auf – solange die Musik spielt.
Da hätte es des verbalen Ansprechens politischer Spannungen nicht bedurft. Nach dem vierten Stück „Slow“, das erst „ganz wenig hat, dann eine ganz langsame Stiegerung erfährt, um am Ende ganz viel zu sein“, nimmt Gilda Razani politisch Stellung. Im Iran sei ja im Augenblick politisch sehr viel los. Sie bedaure dass der Präsident leider so tue, als kämen Juden und Perser nicht gut miteinander aus. Demgegenüber wolle sie betonen, dass das Zusammenleben im Iran bisher nie ein Problem gewesen sei. Es gebe Synagogen in Teheran und das persische Volk achte die Juden und ihre Religion. Darum lade sie ihren jüdischen Kollegen Roy jetzt zu einem Solostück ein.
Nach dem Solo kündigt Razani als letztes Stück die „Titelmelodie für einen schwedischen Krimi“ an. Darin, sagt sie, gehe es um „schwedische Musiker, die unbedingt von ihrer Musik auch leben wollen und darum über die eine oder andere Leiche gehen“. Auch (leider nur) eine Zugabe klatscht das Publikum herbei.
Mir allerdings gehen widersprechend politische Gedanken nun nicht mehr aus dem Kopf. Hat die sympathische Gilda Razani nicht wieder das westliche Klischee vom antisemitischen iranischen Präsidenten bedient? Ist nicht die Existenz der Synagogen im Iran der Gegenbeweis? Wendeten sich seine Stellungnahmen nicht jeweils gegen den Staat Israel und speziell dessen Unterdrückung der Palästinenser und nicht gegen das jüdische Volk – auch wenn westliche Medien anderes berichteten? Was hat es mit dem durch den geistlichen Führer Chamenei erzwungenen Rücktritt des von Achmadinedschad ernannten Vizepräsidenten Esfandjar Rahim Maschai auf sich. Nicht nur ist er Schwiegervater von Achmadinedschads Sohn, er hatte letztes Jahr auch geäußert, der Iran sei ein Freund auch des israelischen Volkes. War irgendwo zu lesen, dass Achmadinedschad, sich davon distanziert hat?
Auch mir missfällt Achmadinedschads dummdreiste Leugnung des Holocaust. Doch wird nicht jeweils von israelischen Regierungen der Holocaust politisch instrumentalisiert? Sind hier nicht kommunizierende Röhren am Werk im Nahen Osten und weltweit? Hat nicht Israel derzeit einen Außenminister, der in einer illegalen Siedlung auf palästinensischen Land lebt und selbst am liebsten alle Palästinenser aus Israel rauswerfen möchte?
Die Zugabe heißt „Listen to the musik, listen to your heart“, das letzte Konzert am Freitag „Common language, common sense“. Auf die Musik hören, auf mein Herz hören, eine gemeinsame Sprache finden, gesunden Menschenverstand pflegen.
Bei der Wiedergabe von „gesundem Menschenverstand“ zögere ich. Ist dieser Bergiff nicht korrumpiert auch und gerade durch die deutschen Verbrechen von 1933 bis 1945. Der Iran hat damit nichts zu tun.
Nach dem Konzert spreche ich Gilda Razani an und frage, was ihr Vorwurf sei, wo sie doch gerade gesagt habe, das Verhältnis zu den Juden sei gut im Iran. Doch meint sie, das stimme für die Bevölkerung, von staatlicher Seite gäbe es jedoch seit einiger Zeit Benachteiligung, etwa bei der Arbeitsplatzvergabe.
Es wird aller Künste bedürfen, damit die Schatten der Vergangenheit sich nicht verlängern aus der Gegenwart in die Zukunft: Musik, Literatur, Politik …
Und es wird Menschen brauchen, die sich mit aller Kraft für Verständigung und Versöhnung einsetzen und entsprechende mutige Schritte tun. Schritte, die auf den Feind zugehen. Es wird Menschen brauchen, die hoffen und beten.
6. August 2009 von Wolfgang