Wenn nicht die schweiznationalistische SVP die Mehrheit gegen Minarette organisiert hätte, könnte ich einem Verbot von Minaretten durchaus etwas abgewinnen. Allerdings nur, wenn zugleich auch der Neubau von Kirchtürmen verboten würde. Was ist der Unterschied zwischen beiden Turmarten? Von den einen wird gebimmelt, von den anderen gerufen. Wenn’s gut gemacht wird, durchaus ein ästhetischer Genuss. Wenn’s schlecht gemacht wird, können sowohl Glocken als auch Muezzin einem schlecht werden lassen. Mehrfach bin ich in Jerusalem und anderswo um 4 Uhr morgens wegen lautsprecherverstärkten Gebetsrufes aus dem Bett gefallen.
Uns Mennoniten war es lange Zeit verboten, öffentlich sichtbare Gebetsräume zu bauen, ganz zu schweigen von Kirchtürmen. Das hat uns viel Geld gespart. Wir brauchen nur Versammlungsräume, keine Türme. Oder doch!? Vielleicht hätten wir auch ohne Verbot keine gebaut.
In vielen Dörfern sehe ich den katholischen Kirchturm den evangelischen überragen oder umgekehrt. Wer hat den größten? Die Psychologen haben wohl recht, wenn sie angesichts des Wettbewerbs der aufragenden Türme von Phallussymbolen sprechen.
Weder in der Bibel, noch im Koran finden sich Hinweise, dass Gott Gefallen am Turmbau habe. Im Gegenteil: er sieht es sehr kritisch, das Hoch- hinaus-Wollen.
Im 17. Jahrhundert zog George Fox, einer der Gründer der „Gesellschaft der Freunde“, im Volksmund Quäker genannt, durch England. Er rief die Menschen zur Umkehr auf den Weg Jesu. Er hatte keine Hemmungen, auch in Kirchengebäude mit Türmen zu gehen und dort zu predigen. allerdings bezeichnete er solche Gebäude nicht als Kirchen, sondern als Turmhäuser. Die Kirche, das sind wir Menschen, wenn wir uns von Gott rufen lassen und aus ihm heraus neu geboren werden. Kirche ist kein aus Steinen gebautes Gebäude, sondern ein Haus aus lebendigen Steinen gebaut – die Gemeinschaft derer, die Jesus seine Freunde nennt.
Bei einer ethischen Bilanz von Kirchtürmen und Minaretten schneiden übrigens die muslimischen Türme besser ab. Immerhin hängen keine Glocken darin, sie sind sozusagen ethisch neutral, zumindest wenn wir das Grundgebot der Nächstenliebe betrachten. In jedem Kirchturm landauf landab hängt die von Militärs und Regierungen hochgeschätzte strategische Metallreserve. Die Kirchenchroniken berichten von der Beschlagnahmung im Krieg, der kostspieligen Neubeschaffung im Frieden, um beim nächsten Krieg wieder Beschlagnahmung zu notieren … Wenige Dörfer wehrten sich und versteckten die Glocken vor dem Abtransport.
30. November 2009 von Wolfgang
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[…] Türme uns näher zu Gott?“, vom 30. November 2009, von Wolfgang, http://www.wolfgangsnotizen.de […]