Das Atomkraftwerk Biblis umzingeln
Am 26. April vor 25 Jahren explodierte das Atomkraftwerk in Tschernobyl. Schon am Samstag, 24.4.2010 waren wir deswegen zu dritt aus unserer Gemeinde aufgebrochen zurr Umzingelung der AKW-Blöcke in Biblis. Alle Sitze des vom grünen Kreisverband organisierten Busses waren besetzt. So deutete sich schon an, dass viele Menschen kommen würden, um gegen den Ausstieg aus dem Atomausstieg zu protestieren. Es sollen insgesamt 12.000 – 20.000 Leute gewesen sein. Je nachdem, ob man den Veranstaltern oder der Polizei glaubt.
Und im Norden waren mehr als 120.000 Menschen auf den Beinen. Also zehn mal so viele wie bei uns im Südwesten. Kein Problem eine 127 km lange Menschenkette zwischen den Atommeilern Brunsbüttel und Krümel herzustellen. Über 120 km geben sich Männer, Frauen und Kinder die Hand und demonstrieren für das Leben und für einen anderen Umgang mit Energie.
Fast wäre ich nicht zur Demo und Umzingelung nach Biblis gekommen. Schließlich gibt’s zuhause samstags auch was zu tun! Was hätte ich nicht alles versäumt?! Das gute Gefühl, wieder viele zu sein und etwas bewirken zu können. Eine schöne Wanderung bei Superwetter. Gute Kontakte mit bekannten und wildfremden Menschen. Beschämt hat mich, dass soviele Menschen von weither angereist kamen. Und mir wären die 40 km fast zu viel gewesen. Aber ich war dabei!
Doch das wichtigste: Ich hätte den wunderbaren Chorgesang verpasst und die Möglichkeit mitzusingen. Eine Gruppe aus Wuppertal hatte Kirchenlieder vorbereitet und trug sie vierstimmig(!) vor. Immer wieder kamen spontan andere Demonstranten dazu und sangen mit. Die Texte waren für den Zweck des Tages umgedichtet. So wurde aus „Auf Seele Gott zu loben“ „Mit Wind sind wir umfangen, der liefert uns den Strom./Drum steht unser Verlangen nach Abschied vom Atom!“ Oder „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ verwandelte sich in „Steiget aus, ruft euch die Stimme,/ Atomkraft stinkt extrem zum Himmel! /Steigt aus aus dem Atomprogramm!“ Es gab das wunderbare Stimmendurcheinander von „Stoppt die Atomkraft und zwar sofort“ oder den Beethovenklassiker „Kernkraft, schöner Götterfunken“. Das waren für mich die Hits von Biblis! Schon immer wünche ich mir einen ordentlichen Chor bei Demos. Schon immer will ich beim Ostermarsch „Christ ist erstanden“ singen. Spontanes Singen gab es 2002 und 2003 bei den Heidelberger Demos gegen den Irakkrieg. Aber nie hab ich es geschafft, einen Chor zu organisieren oder Chorleiter anzuspitzen, das zu tun. Vielleicht schaffe ich das jetzt oder das Beispiel Biblis wirkt noch auf andere ansteckend. Ich konnte sogar eins der Notenhefte ergattern!
Auch konnte ich unter den Menschenmassen zur Orientierung beitragen. Wie meistens hatte ich unser Demokreuz mitgenommen. Es ist recht groß, aber wegen seiner speziellen Leichtbauweise, dennoch leicht zu tragen. Ich stand also mit hoch erhobenem Kreuz im Chor und sang mit. Später verliefen wir uns unter den Menschenmassen bei der Kundgebung am Kraftwerktor. Irgendwann sprach mich eine Frau an, wo denn der Chor sei, sie sei meinem Kreuz gefolgt, um ihn wiederzufinden. Sie hielt sich weiter in meiner Nähe auf und glaubte mir wohl nicht, dass ich gar nicht wirklich dazugehöre. Später fanden wir den Chor wieder und konnten erneut einstimmen in die Antiatomchoräle.
Hier und da wurde ich auch gefragt, warum ich denn mit einem Kreuz zur Demo gekommen sei. Na, warum denn nicht, antwortete ich als erstes. Gab dann aber auch theologisch etwas tiefergehende Auskunft: Am Kreuz hat Christus die Mächte des Todes besiegt. Und in seiner Auferweckung hat Gott diesen Sieg bestätigt.
12.000 Menschen waren da. Ich hab sie nicht gezählt, aber ich hatte den Eindruck, es waren einige Tausend Fahnen zu sehen. Viele hundert von „Die Linke“, „Bündnis 90 – Die Grünen“, „SPD“, „Attac“, BUND und bestimmt mehr als 1.000 mit der berühmten roten Sonne und dem Spruch „Kernkraft? Nein, danke!“ Mit oder ohne geballte Sonnenfaust. Unter tausenden Fahnen EIN Kreuz, das Orientierung gibt. Eine Demonstrantin sagte, gut, dass sich einige outen. Ja, das wünsche ich mir, dass sich noch viel mehr Christen, den Protesten anschließen und sich dort zu erkennen geben. Die Botschaft der Auferstehung, des Aufstands gegen Tod gehört gerade auf die Demonstrationen gegen die tödliche Gefahr der Atomkraft. Jahrtausendelang strahlender Müll für den noch kein Endlager gefunden ist. Menschliche Hybris, die meint, Müllberge mit einer Halbwertszeit von 24.110 (in Worten: vierundzwanzigtausendeinhaundertzehn) Jahren beherrschen zu können.
Wenn das keine theologischen Themen sind!
Also: Transparente gemalt, Flugblätter gedruckt, Kreuze gezimmert! Es gibt eine Botschaft weiterzusagen.
26. April 2010 von Wolfgang