Schon wieder wird eine täuferische Gruppe in der Süddeutschen erwähnt. Ich kann nur den Kopf schütteln wie das geschieht. Meine Notizen dazu finden sich nach dem Artikelchen. Lest erst mal selbst:
Süddeutsche Zeitung Mo, 9.5.2011, S. 4, Kommentar
Ägyptens Hetzer
Weder die Liebe noch die Religion folgen dem Verstand. Beide haben ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten. Kommen die beiden Phänomene zusammen, bleibt der menschlichen Vernunft wenig Raum. Das erklärt wenigstens in Teilen, warum in Ägypten mindestens zwölf Menschen sterben mussten: Eine Beziehung zwischen einer koptischen Christin und einem Muslim, dazu der Übertritt der Frau von der einen Glaubensgemeinschaft zur anderen – das ist weder für die von Haus aus ultrakonservativen Kopten noch für strenge oder fundamentalistische Muslime akzeptabel.
Den koptischen Priestern lässt sich ihr unmoderner Starrsinn mit Argumenten ebenso [wenig] austreiben wie sich von den eifernden Muslim-Fundamentalisten vernünftiges tolerantes Handeln erwarten lässt. Der ägyptische Staat aber muss das problemlose Zusammenleben zwischen der 90-Prozent-Mehrheit der Muslime und der koptisch-christlichen Minderheit garantieren. Er lässt es dabei in den letzten Wochen an der nötigen Entschiedenheit und Weitsicht fehlen.
Die radikal-islamischen Salafisten sind eine Muslim-Minderheit, deren Verhältnis zur Moderne ähnlich verquer ist wie das der amerikanischen Amish-Sekte: Alles, was die Altvorderen taten, war gottgewollt und per se richtig. Die Salafisten sind dabei eine Minorität, der die Mehrheit der Ägypter herzlich wenig abgewinnen kann. Aber sie kläffen ihre Parolen lauter als die anderen heraus. Daher bestimmen die Salafisten zunehmend die Debatte über das Zusammenleben der Religionsgruppen im Land. Die Untätigkeit des herrschenden Militärrats lässt sich mit Populismus leicht erklären – für Ägypten bleibt sie gefährlich. ave
Aha, da wird eine Gruppe einfach so zum Vergleich hergenommen mit Leuten, die Konflikte eskalieren, andere erschießen, weil ihnen deren Glaube nicht passt oder sie eine Liebesbeziehung oder gar Ehe über Religionsgrenzen hinweg oder Religionswechsel nicht haben wollen. In bewährter Weise wird ihnen das Etikett Sekte verpasst. Mit Bindestrich noch besser „Amish-Sekte“. Hat der Kommentator irgendeine Ahnung von den Amischen? Hat er davon gehört, dass sie wegen religiöser Diskriminierung das feudale, absolutistische Europa Richtung Pennsylvanien verließen, um dort Gewissens- und Religionsfreiheit zu finden? Weiß er dass unter den von ihm geschmähten Vorfahren Leute sind, die von Kirche und Obrigkeit auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurden? Wie kommt er dazu eine Gruppe, die Opfer von Intoleranz und Gewalt wurde, in die Nähe solcher Phänomene zu rücken? Hat er von dem unerhört versöhnenden gewaltfreien Verhalten der amischen Gemeinde nach dem Schulmassaker in Nickel Mines gehört? Trotz fünf getöteter amischer Schulmädchen besuchten deren Angehörige das Begräbnis des Amokläufers, der sich selbst getötet hatte, sprachen dessen Familie Trost zu und äußerten Vergebungsbereitschaft auch dem Attentäter gegenüber.
Mir kommt fast der Verdacht, dass der Kommentator auch den Salafisten unrecht tut, wenn er sie wie leider in allen Medien üblich, einfach so mit dem Diskriminierungsadjektiv „radikalislamisch“ versieht. Oder den Kopten, die pauschal als ganze Gruppe „ultrakonservativ“ genanntw erden. Hier und da noch die Bausteine „streng“, „fundamentalistisch“,“Starrsinn“, „Sekte“ eingebaut und demgegenüber den Westen „tolerant“, „vernünftig“, „modern“ apostrophiert.
Erinnert sich noch jemand an die rechtsextrem rassistische Auschreitungen in BRD nach der Wende. Wo lagen nochmal Hoyerswerda oder Solingen? Etwa auch in Ägypten?
Ob auch dem ägyptischen Staat und seiner Miltärregierung Unrecht getan wird, wenn ihr „Untätigkeit“ vorgeworfen wird? Könnte man nicht mal einen Tag warten, um zu sehen, was geschieht? Es ist nicht so einfach in einer revolutionären Situation Recht und Ordnung zu garantieren. Nebenbei gesagt ist das in einer solchen Situation auch eine Verantwortung der revolutionären Zivilgesellschaft. Gab es Menschenketten als Schutz für Moscheen und Kirchen oder wurde nur nicht darüber berichtet?
13. Mai 2011 von Wolfgang