Eröffnung am 30.6.20, Annahof
Zur Eröffnung des Friedensfestprogramms am 30.6.20 nehme ich Platz auf einem der in weitem Abstand vor der Sommerbühne im Annahof aufgestellten Stühle. Moment mal: Sitze ich hier zu „Ehren des Orixá Obulaie, des Gottes der Krankheit und der Heilung“? So steht es in der Überschrift des auf meinem Stuhl mit Texafilm fixierten Blattes. In diesem Selbstzeugnis des „Tempels Ile Obá Sileké (Haus des Königs der Wohlstand bringt), Berlin“ steht auch: „In der afrobrasilianischen Religion Candomblé gibt es – wie in den anderen monotheistischen Religionen – den Allmächtigen Schöpfer, hier mit Namen Olorum.“ Später ist von einem „Götter Pantheon“ die Rede, von den „Orixas … halb Mensch, halb Gott“. Zu den „anderen monotheistischen Religionen“ gehören wohl wir Christen verschiedener Konfession, Muslime, Juden und andere vom Augsburger Runden Tisch der Religionen, die wir zur Eröffnung des Friedensfestprogramms gekommen sind.
Hab ich Monotheismus bisher falsch verstanden? Es ist ja schon schwierig genug, Juden und Muslimen, (auch machen Christen) die Trinität als monotheistisches Konzept zu erklären. Ob das mit dem Pantheon des Candomblé gelingen wird?

Distanz ist geboten – Sommerbühne im Annahof
Der farbenfrohe Auftritt des „afro-brasilianischen Tanztheaters befremdet mich. Ist das nun Kunst oder Religion oder beides? Bin ich Zuschauer oder Teil des Rituals. Wenigstens werde ich nicht rituell mit Popcorn beworfen, wie ich schon befürchtet hatte. Was ist die Botschaft der „exotisch“ anmutenden Darbietung zur Eröffnung „unseres“ Augsburger Friedensfestprogramms? Warum geht Oberbürgermeisterin Eva Weber in ihrem Grußwort nur am Rande auf Anlass und Geschichte des Friedensfestes ein? Warum geschieht dieses Ritual ausgerechnet in der „guten Stube“ der Augsburger Evangelisch-Lutherischen-Kirche?
Ich sitze mit mehr als Corona-Distanz auf meinem Stuhl und memoriere das erste Gebot des Dekalogs vom Sinai: „Ich bin der EWIGE dein Gott, der dich aus der Sklaverei in Ägypten befreit hat. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.“ Exodus 20, 2+3.
1683 wanderten die ersten Deutschen nach Nordamerika aus. Eine Gruppe von Mennoniten und Quäkern, dreizehn Familien, kamen von Krefeld nach Pennsylvania und gründeten bei Philadelphie Germantown. Sie wurden hierzulande diskriminiert und durften ihren Glauben nicht frei leben. Fünf Jahre nach ihrer Ankunft formulierten sie den ersten schriftlich erhaltenen Protest gegen die Sklaverei in Amerika. Es ist dies Teil meiner eigenen Geschichte als Glied einer ehemals verfolgten Kirche. 1528 wurden meine Brüder und Schwestern auch aus Augsburg vertrieben.
So sympathisiere ich mit den von Afrika nach Brasilien in die Sklaverei verschleppten Afrikanern und ihrer lange verfolgten und unterdrückten Religion. Das heißt aber nicht, dass ich deren Ritualen und theologischen Inhalten unkritisch gegenüberstehe. Ist es überhaupt angemessen, dieses Ritual unbeteiligten Zuschauern so darzubieten? Ist das authentisch, was uns hier vorgeführt wird? Ich hätte Probleme damit, das Teilen von Brot und Wein als Schauspiel auf einer Bühne und außerhalb eines Gottesdienstes vorzuführen.
Ich verstehe die Gesänge und Schreie nicht. Die ethnologische Einführung von Christiane Lembert-Dobler lässt mich höchstens erahnen, um was es geht. Wenn schon ein solches Ritual auf der Bühne im Annahof, sollte es dann nicht auch ein Gespräch geben mit dem Candomblé-Priester, wo ich ihn nach den Inhalten seiner Religion fragen und Zweifel anmelden kann?
Im Anschluss spreche ich mit einigen Christen und Muslimen, die meisten haben es als ethnologisch interessante Vorführung wahrgenommen, aber durchaus mit zwiespältigen Gefühlen.
Ich nehme an, dass viele Christen in den Freikirchen, die ich am Runden Tisch vertrete, die Angelegenheit noch etwas drastischer sehen würden, als ich das tue.
Sollten wir in Augsburg nicht ganz grundsätzlich nachdenken, was es bedeutet, Friedensfest zu feiern und wie wir das tun wollen?
Wolfgang Krauß, Delegierter der Freikirchen in der ACK am Runden Tisch der Religionen 9.7.20
21. Juli 2020 von Wolfgang