Margot Käßmann: Nichts ist gut in Afghanistan
Einige Bemerkungen der EKD-Ratsvorsitzenden Margot Käßmann in ihrer Predigt zur neuen Jahreslosung scheinen viele Politiker und Kommentatoren zu provozieren. Vor allem der Vorwurf, sie dürfe nicht für alle evangelischen Christen sprechen, wird oft wiederholt. Da scheint schon Wesen und Absicht einer Predigt falsch verstanden zu werden. Eine Predigt spricht nicht für Christen, sondern zu Christen, die sich dann ggf. über das Gesagte Gedanken machen und eigene Schlüsse ziehen können.
Im Wortlaut lautete der provozierende Absatz der Predigt:
„Nichts ist gut in Afghanistan. All diese Strategien, sie haben uns lange darüber hinweggetäuscht, dass Soldaten nun einmal Waffen benutzen und eben auch Zivilisten getötet werden. Wir brauchen Menschen, die nicht erschrecken vor der Logik des Krieges, sondern ein klares Friedenszeugnis in der Welt abgeben, gegen Gewalt und Krieg aufbegehren und sagen: Die Hoffnung auf Gottes Zukunft gibt mir schon hier und jetzt den Mut von Alternativen zu reden und mich dafür einzusetzen. Manche finden das naiv. Ein Bundeswehroffizier schrieb mir, etwas zynisch, ich meinte wohl, ich könnte mit weiblichem Charme Taliban vom Frieden überzeugen. Ich bin nicht naiv. Aber Waffen schaffen offensichtlich auch keinen Frieden in Afghanistan. Wir brauchen mehr Fantasie für den Frieden, für ganz andere Formen, Konflikte zu bewältigen. Das kann manchmal mehr bewirken als alles abgeklärte Einstimmen in den vermeintlich so pragmatischen Ruf zu den Waffen. Vor gut zwanzig Jahren haben viele Menschen die Kerzen und Gebete auch hier in Dresden belächelt.“
Wie aber soll „ein klares Friedenszeugnis“ aussehen? In Interviews hatte Käßmann gesagt, auch nach den weitesten Maßstäben der Evangelischen Kirche in Deutschland sei dieser Krieg nicht zu rechtfertigen, deshalb müsse die gewalttätige Auseinandersetzung möglichst rasch beendet werden. (Hannoversche Allgemeine Zeitung). In BILD vom 4.1.09 wurde sie gefragt, was gläubige Soldaten von ihrer Aussage halten sollten, der Krieg in Afghanistan sei durch nichts zu rechtfertigen. Sie verwies auf die Haltung der Kirche, ein solcher Einsatz sei nur zu rechtfertigen, wenn der zivile Teil klar dominiere. Der Vorrang des Zivilen sei aber beim Bundeswehreinsatz längst infrage gestellt. Und durch mehr Truppen werde er vollends zerstört. Den Vorwurf, sie würde die deutschen Soldaten im Stich lassen, bezeichnete sie mit Hinweis auf die Soldatenseelsorge als „perfide Unterstellung“. Katholische wie evangelische Geistliche begleiteten „unsere Soldatinnen und Soldaten“, sprächen mit Traumatisierten, würden die Toten begraben und stünden ihren Angehörigen bei. Den sofortigen Abzug habe sie nie gefordert. Aber es brauche einen erkennbaren Plan für den Abzug. Immer mehr Militär zu schicken, sei keine Lösung und bringe keinen dauerhaften Frieden. Auf die Frage, was die Bundeswehr anders machen solle, meint Käßmann, das seien politisch zu entscheidende Fragen. Wenn sie für den Frieden plädiere, sei das eine Schlussfolgerung aus dem Matthäus-Evangelium: „Selig sind die Friedfertigen“. Jede andere kirchliche Position würde doch wohl erstaunen.
Einige Rückfragen: Wie soll ein klares Friedenszeugnis aussehen? Warum bleibt Margot Käßmann in Rechtfertigungen stecken, spricht von „unseren“ Soldaten, führt ausschließlich pragmatische Argumente an, weist implizit darauf hin, dass die Militärseelsorge dazu beiträgt, den Krieg führbar zu machen? Immerhin zitiert sie den Bergprediger. Doch warum dringt sie nicht durch zum theologischen Kern einer evangelischen – also am Evangelium orientierten – Haltung zur Frage des Krieges. Wenn mit Gewalt „Frieden“ zu schaffen wäre, wären sie und die EKD dafür?
Was haben „gläubige Soldaten“ in einer Armee verloren? Ruft Jesus uns nicht in seine Nachfolge und fordert uns auf, unsere Feinde zu lieben? Wie geht das mit der Waffe in der Hand?
Mit weiblichem Charme Taliban vom Frieden überzeugen? Ich meine, der Offizier, der so fragt, kommt der Antwort ziemlich nah. Nicht um weiblichen Charme geht es, sondern um den Charme der Nachfolgerinnen und Nachfolger Jesu, von denen Paulus schreibt, sie sollten den Feinden zu essen und zu trinken geben, und so glühende Kohlen auf ihrem Haupt sammeln – bildhaft gesprochen, sie zu beschämen – und so Böses mit Gutem zu überwinden.
Warum ist der Krieg gegen Taliban und Al Kaida mit militärischen Waffen nicht zu gewinnen? Zum einen, weil es ein assymetrischer Krieg ist und Guerilleros und Selbstmordattentäter nicht militärisch zu bezwingen sind. Zum anderen, weil ein ideologischer Krieg nur mit geistlichen Waffen gewonnen werden kann.
Warum überlassen wir es den Staaten, diesen Krieg zu führen, die doch die geistliche Problematik gar nicht verstehen? Warum denkt Bischöfin Käsmann nur in den Kategorien staatlichen Handelns, sei es nun zivil oder militärisch? Warum kommen keine genuin christlichen Handlungsmöglichkeiten zur Sprache? Warum spielt Jesus keine Rolle in ihrer Argumentation?
Warum machen wir als Kirche nicht unsere eigene Außenpolitik, schicken Unterhändler zu den Taliban – gemäßigt oder radikal – und fragen nach den Bedingungen eines Friedens? Warum laden wir die Taliban nicht ein in evangelische Akademien, um über geistlichen Kampf (Dschihad) mit ihnen zu diskutieren?
Alles nur Spätfolgen des Bündnisses von Kirche und Staat seit Kaiser Konstantin?
4. Januar 2010 von Wolfgang